Energiemanagement von Führungskräften in der Planungs- und Baubranche

Bauten werden heute in einem immer kürzeren Zeitraum realisiert, das Tempo ist spürbar gestiegen. Die in allen Branchen feststellbare höhere Dynamik kommt in dem Akronym VUKA zum Ausdruck, dass die Megatrends Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambivalenz beschreibt. In der Baubranche hat das zur Folge, dass der Termin-/ Kosten-/ und Margendruck in den letzten Jahren weiter gestiegen und zur Belastung für die Führungskräfte geworden ist: sie bewegen sich ständig im Belastungszyklus zwischen Kosten, Terminrealisation und Personalführung.

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Belastungszyklus - eigene Darstellung Grafik: A. Steinmetz 2019


Den steigenden Termindruck bestätigen vier von fünf Bauarbeitern in der UNIA Bauarbeiter-Umfrage im Februar 2020. Und 83 Prozent der Bauleiter sind der Meinung, dass Bauherren zunehmend unrealistische Termine verlangen.

Bezüglich Personalführung führen darüber hinaus Generationskonflikte zu einer Belastung, da sich die Generation Y (Jahrgänge 1985-2000, die inzwischen 1/3 der berufstätigen Bevölkerung ausmachen) nicht mehr ausschliesslich durch Ansagen und Befehle führen lässt. Sie fordert vielmehr Antworten auf das WARUM und sucht eine Sinnhaftigkeit in ihrer Arbeit, was die Führungsaufgabe zeitintensiver macht.

Trotz dieser genannten und spürbaren Veränderungen werden Projekte in der Planungs- und Baubranche immer noch nach dem Wasserfallmodell aus den 60`er Jahren bearbeitet. Dieses besteht aus einzelnen Bearbeitungskaskaden mit definiertem Start- und Endpunkt, die aufeinander folgen. Diese starre Arbeitsweise lässt weder Flexibilität noch Agilität zu, die in der Arbeitswelt aufgrund der durch die zunehmende Unsicherheit nötig sind, da nicht mehr akkurat geplant werden kann.


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Während in der Baubranche die Unternehmensumsätze in den letzten 15 Jahren um 50 Prozent zugenommen haben, hat sich die Zahl der Beschäftigten Bauarbeiter seit den 90`er Jahren halbiert. Dies sei nicht auf die Automatisierung oder Digitalisierung zurückzuführen, sondern auf Stress und Belastung, gemäss der UNIA Baustellenumfrage. Wenig Schlaf und 12 Stunden Arbeitstage sind keine Seltenheit, um die grosse Masse an täglichen Aufgaben bewerkstelligen zu können. Ein grosser Margen-/Kostendruck ist spürbar und fördert zusätzlichen Stress. In der UNIA Umfrage gaben 55 Prozent der Befragten an, dass die höhere Belastung einen Einfluss auf die Gesundheit hat. 52 Prozent sehen die Arbeitsqualität leiden und 51 Prozent stellen eine Gefahr in Bezug auf vernachlässigte Arbeitssicherheit fest.


Stress und dessen Folgen für den Arbeitsmarkt
Als Stress bezeichnet man eine körperliche und psychische Reaktion eines Menschen auf Situationen bzw. Anforderungen, die mit den eigenen Ressourcen nicht als bewältigbar interpretiert werden, wie zum Beispiel Zeitmangel, Termindruck, ständige Erreichbarkeit, Leistungsdruck und schlechte Führung. Es herrscht also ein Ungleichgewicht zwischen Anforderung und Ressourcen. Stress «wirkt nicht von aussen auf ein Individuum ein, sondern entsteht immer nur in der gestressten Person selbst» (Becker, K. Erfolg ohne Stress, S. 23, München: Verlag Peter Erd., 1990). Gefährlich wird Stress, wenn er chronisch wird. Es ist nachgewiesen, dass eine langanhaltende Belastung einen Einfluss auf das Immunsystem hat, die Wundheilung verlangsamt und Depressionen und Magen-Darm-Erkranken hervorruft. Auch die Erhöhung von Schlaganfall und Herzinfarkt Risikos sind dem chronischen Stress zuzuordnen.

Beschäftige generell fehlen immer häufiger wegen Stress. So war im Oktober 2019 in der Zeit Online zu lesen, dass in den vergangenen zehn Jahren die Fehltage wegen psychischer Belastungen um 144 Prozent zugenommen haben. Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung stellte Anfang des Jahres 2020 fest, dass es ˮ mehr Fehltage wegen psychischer Erkrankungen ˮ gibt. Psychische Erkrankungen sind für rund 19 Prozent aller Fehlzeiten am Arbeitsplatz verantwortlich, das ist der höchste Wert im Vergleich zu anderen Diagnosen – noch vor Rückenbeschwerden und Erkältungskrankheiten“ unter Berufung auf eine Krankenkassenstudie.


Burn-out
Oft kann Stress in einem Burn-out enden. Gemäss dem Hernstein Management Report sehen sich 31% der befragten Führungskräfte selbst als stark Burn-out gefährdet. Je jünger Mitarbeitende in einer Führungsrolle auf mittlerer Führungsebene sind, umso stärker sehen sie sich als potenziell gefährdet an. Diese Wahrnehmung zeigt sich oft auch in der Jobwechselbereitschaft, was neben dem Fachkräftemangel ein grosses Problem in der Planungs- und Baubranche ist. Für 41% der Befragten wird ein Burn-out als Schwäche ausgelegt und steht für nicht genug Leistungsfähigkeit. 62% der befragten Teilnehmer kennen zumindest einen Fall in ihrem Unternehmen.

 

Was kann man gegen Stress tun?
Wenn die Anforderungen höher werden, müssen eigene Ressourcen aufgebaut werden. Eine direkte Einflussmöglichkeit besteht durch unser Ernährungs-, Bewegungs- und Schlafverhalten: EAT – MOVE – SLEEP.  


Ernährung
Wir beziehen unsere Energie aus der Nahrung. Rund 50 Nährstoffe muss der Mensch über die Nahrung zu sich nehmen, um gesund zu bleiben. Kohlenhydrate sind der Energielieferant für Muskeln, Nerven und das Gehirn. Auch gesunde Fette wie zum Beispiel Olivenöl und Avocados sind wichtig für den Körper. Eiweiss wird vom Körper für Zellen, Organe, Muskeln oder der Blutherstellung benötigt.

Oft wird am Arbeitsplatz aber aus Zeitmangel nur schnell ein Sandwich gegessen oder die Nahrungsaufnahme gänzlich gestrichen. Das Hungergefühl wird mit reichlich Kaffee und einem schnellen Griff in die Keksschale im Aufenthaltsraum im Zaum gehalten. Verständlich, denn unter Stress will der Körper sich mit Energie wappnen. Er benötigt Fett- und Zucker, wie zum Beispiel Schokolade. Der Zucker schiesst schnell ins Blut und treibt den Blutzuckerspiegel in die Höhe. Man fühlt sich zwar kurzzeitig aktiviert, der Energiepegel sackt jedoch rasch wieder ab

Wirkungsvoller in Stressphasen helfen hingegen Lebensmittel mit komplexen Kohlenhydraten wie Vollkornbrot oder Vollkornpasta. Das dadurch aufgenommen Magnesium hilft, die Anspannung und Nervosität zu verringern. Gegen Stress wirkt auch das Glückshormon Serotonin, das für Gelassenheit, Harmonie, Zufriedenheit sorgt sowie Angst, Kummer, Sorgen und Aggressionen dämpft. Die Bildung von Serotonin wird durch das Vitamin B6 unterstützt und findet sich in Lebensmitteln wie Avocados, Kohl, grüne Bohnen und Linsen, Geflügel, Leber und Fisch.

Auch Kalium gilt als Antistress- Mineralium, da es hilft, Unruhe, Kopfschmerzen und Bluthochdruck in den Griff zu bekommen. Empfehlungen für eine kaliumreiche Ernährung sind viel frisches Obst und Gemüse. Als Snacks werden Nüsse, Äpfel, Bananen und ungesüsste Trockenfrüchte empfohlen.


Bewegung
Es gibt gute Gründe die sportlichen Aktivitäten zu steigern. Bewegung hilft Stress abzubauen und hat positive Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf und Immunsystem. Neben der Aktivierung vom Stoffwechsel wird auch die geistige Leistungsfähigkeit gefördert.

Univ.-Professor Dr. med. Martin Halle ist täglich mit den Folgen von Bewegungsmangel und Stress konfrontiert. Er ist Vorreiter von „Sport als Medizin“ und dosiert körperliches Training wie ein Medikament („Sport auf Rezept“).


Schlaf
Es wurde lange Zeit unterschätzt, wie wichtig Schlaf für die Gesundheit und das Wohlbefinden ist. Das Problem ist weniger der Stress, sondern vielmehr die mangelnde Erholung nach dem Stress. Der Körper regeneriert von der körperlichen und geistigen Belastung im Schlaf am besten. Hochleistungssportler wie Roger Federer haben das verinnerlicht und schlafen 10-11 Stunden pro Tag.

Schlafmangel hat hingegen nicht nur fatale Auswirkungen für das Gehirn, er wird auch mit zahlreichen neurologischen und psychiatrischen Leiden in Verbindung gebracht, zum Beispiel Alzheimer, Angstzustände, Depressionen, bipolare Störungen, Schlaganfall und chronische Schmerzen. Schlafmangel fördert auch Erkrankungen wie Krebs, Diabetes, Herzinfarkte, Unfruchtbarkeit, Gewichtszunahme, Fettleibigkeit und Immunstörungen, beschreibt der bedeutende Schlafforscher Prof. Dr. med. Matthew Walker in seinem aktuellen Buch. Seine wissenschaftlichen Studien belegen, dass man nicht merkt, wenn der Schlaf fehlt. Die Teilnehmer stuften das Ausmass ihrer Leistungsminderung regelmässig zu gering ein. Sie merkten nicht, wie schlecht ihre Leistung tatsächlich und objektiv war.

Genauso schwierig ist die Zeit einzuschätzen, wie lange eine vollständige Erholung nötig ist. Dauert der chronische Schlafentzug schon lange an, gewöhnt sich der Mensch an die beeinträchtigte Leistung, die geringe Aufmerksamkeit und fehlende Vitalität. Es ist nicht mehr klar, wie sehr die geistigen Fähigkeiten und die Energie beeinträchtigt und sich die Gesundheit Schritt für Schritt verschlechtert. Eine Verbindung zwischen Schlafentzug und körperlichen Gesundheit wird allerdings noch selten hergestellt.

Mit wenig Schlaf auszukommen, wird oft im beruflichen Kontext mit einer gewissen Stärke gleichgesetzt. Den Körper so disziplinieren zu können, dass er mit ungenügendem Schlaf trotz allem konzentrierte Hochleistung erbringen kann, ist ein Trugschluss.

Der Work Health Circle soll aufzeigen, dass die nötigen physische Ressourcen auf dem unterstützenden Prinzip der ausgewählten Ernährung, guter Regenration und regelmässiger Bewegung beruhen. Alle Punkte greifen ineinander ein und beeinflussen sich gegenseitig.

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Work Health Circle – eigene Darstellung. Grafik: A. Steinmetz 2020


Wer Personal führen möchte, muss sich selbst führen können
Das Thema Energiemanagement von Führungskräften ist ein umfassendes Thema, welches in erster Linie bei der Person selbst beginnt. Verantwortungsbewusstsein im respektvollen Umgang mit seiner eigenen körperlichen und geistigen Belastbarkeit. Stress ist gut und motiviert für eine gewisse Zeit zu Hochleistung. Eine darauffolgende Ruhephase ist allerdings unabdingbar für die Regeneration.

Auch Führungskräfte in der Baubranche müssen verantwortungsvoll mit sich umgehen, im Bewusstsein, was ein längerfristiger Arbeitsausfall für das Unternehmen und ihren Mitarbeiter bedeuten kann.


Themen Energiemanagement von Führungskräften in der Planungs- und Baubranche.
Autor Andreas Steinmetz 
Publikation KMU Magazin Nr. 4/5
Datum April/Mai 2020
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